Kapitel 1 – Geschichtliches

Spaliere (ital. spalliera = Rückenlehne, lat. spalet = Lattenwand) sind in ihrer ursprünglichen Bedeutung also weniger die Bäume, als eine Gitterwand, an der bestimmte Pflanzen in vorgegebener Weise hochzuziehen sind. Solche müssen nicht zwingend Obstbäume sein, wie die Lindenwände im Schlosspark Würzburg, Sans Souci oder im Brüsseler Schlosspark belegen.
Die unterschiedlichen Auffassungen, wo denn nun der Unterschied zwischen Spalieren und Formbäumen liegt, scheinen weit verbreitet zu sein. Spaliere werden in der Regel zu geometrischen Formen vor einem festen Hintergrund erzogen. Allerdings gilt diese Bezeichnung auch für freistehend formierte Bäume an einem festen Rahmen.
Dagegen versteht man in der Regel unter Formbäumen niedrige, veredelte Obstbäume, bei denen durch regelmäßiges Schneiden und Pinzieren ein künstlicher Baumkronenwuchs in einer bestimmten Form erzielt werden kann. Sie können sowohl frei stehen, als auch an einem festen Halt erzogen sein.
Beide Erziehungsarten verbinden zwei Vorteile miteinander: Durch ihre Form, ihre Blüte im Frühjahr und die leuchtenden Früchte im Herbst sind sie äußerst dekorativ, und sie liefern zudem noch – je nach Sortenwahl – wohlschmeckende Früchte.
Der Begriff „Obst“ stammt sehr wahrscheinlich von dem althochdeutschen Wort obez = oben.
Es umschrieb alles, was außer Brot und Fleisch verzehrt wurde, also auch alle Arten von Obst, einschließlich der gesammelten Wildfrüchte und Gemüse.
Heute ist das Obst ein Sammelbegriff der für uns genießbaren Früchte und Samen von mehrjährigen Bäumen und Sträuchern. Es entsteht im botanischen Sinne aus der befruchteten Blüte verholzter Gewächse. Paprika, Tomaten, Kürbisse, Gurken, auch Erdbeeren entstehen dagegen aus der Blüte krautiger Pflanzen und sind demnach dem Gemüse zuzuordnen.

Mehr als 2 Jahrhunderte war der Spalieranbau mit Obstbäumen fast ausschließlich in den Gärten des Hochadels in Mode. Später leisteten sich auch reiche Bürger einen „Kunstgärtner“, der diese Kunstformen in der geeigneten Weise pflegen konnte. Johann Caspar Schiller (1723-1796), Vater des Dichters Friedrich von Schiller, war herzoglicher Offizier und ab 1775 Leiter der Hofgärten des Herzogs Carl Eugen auf Schloss Solitude in Stuttgart. Er modernisierte die Landwirtschaft, begründete maßgeblich moderne Obstanbaumethoden und verfasste ein umfangreiches Sortenwerk mit Abbildungen.
Vermutlich lag aber der Ursprung der Formobstkultur und die obstbaulichen Gartenkunst in Frankreich zur Zeit des Sonnenkönigs.

Buchsfiguren (Topiaires)
Buchsfiguren (Topiaires)

Von Lenôtre, dem Hofgärtner Ludwigs XIV sind im 17. Jh. Anleitungen für zunächst Buchsfiguren (Topiaires) und dann auch für den Spalierobstbau überliefert.
Er schuf als erster die „Französischen Gärten“.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Topfbaum Apfel
Topfbaum Apfel

Daneben wurden Zwergobstbäume für die fürstliche Tafel auch in Töpfen gezogen (das „Tafelobst“). Diese „Scherbengärtlein hatten den Vorzug, wenig Platz zu beanspruchen und leicht austauschbar zu sein. Früher oder später wanderten die Techniken nach Italien und danach auch in andere europäische Länder. Man glaubte, dass sich die schönsten und edelsten Früchte auf den streng geschnittenen Kunstformen (Espaliers) am besten entwickeln würden. Die Verbreitung der heute noch außerordentlich geschätzten Spalierkultur in England erfolgte durch die „Grand Tour“ in der Zeit des Barock (17. Jh.), als die jungen Herren der Adelsschicht vor allem nach Frankreich und Italien fuhren, um die dortigen Anbautechniken kennen zu lernen. Von dort brachten sie auch Elemente der Gartenkultur nach England, woraus die sehr kostspieligen Barockgärten (u.a. Hampton Court und Hatfield) mit den Kunstformen von Obstgehölzen und Weinlauben nach dem Vorbild der Obstgärten von Versailles entstanden.
Höchst bemerkenswert waren auch die Verdienste der Karthäuser (ein französischer Mönchsorden), die hervorragende Baumschulen unterhielten. Von hier aus strahlte die Spalierkunst und die Sortenzüchtung auf ganz Europa aus. Von einem dieser Klöster ist belegt, dass es zwischen 1712 und 1799 über 40 Millionen Bäumchen verkauft hat.
Die Schlossgärten in Villandry (16. Jh.) in Frankreich, Het Loo (17. Jh. in Holland, Würzburg und Schwetzingen (18. Jh.) sind nur wenige Beispiele der Gartenkunst bei uns, wo auch die Form- und Topfobstbäume einen hohen Stellenwert hatten.
Kurfürst August von Sachsen (1526-1586) soll seine Untertanen „höchstselbst“ in der Kunst des Veredelns unterrichtet haben. Etwa zur gleichen Zeit pfropfte und okulierte der Landgraf Wilhelm IV. von Hessen in den Gärten der Hessenaue bei Kassel, um seine Landeskinder für den Obstanbau zu gewinnen.
Das hohe Ansehen der Pfropfkunst belegt, dass der Beruf des „Baumpelzers“ (Veredlers) 1514 zu den freien Künsten gezählt wurde.
Mit der Gründung der Gartenvereine, dem Deutschen Pomologenverein und der beispielhaften Leistung von Geistlichen, Ärzten, Apothekern und Lehrern im 19. Jh. nahm der Formobstbau bei uns einen starken Aufschwung. Nun übernahmen auch gärtnerische Lehranstalten, u.a. die kgl. Gartenbauschule in Weihenstephan oder auch die kgl. Lehranstalt in Geisenheim (seit 1872) die Ausbildung zum Obstgärtner und Pädagogen des Obstanbaues.
Heute noch bekannte Baumschulen, darunter L. Späth in Berlin (seit 1720) oder Müllerklein in Karlstadt a.M. lieferten damals bereits vorgebildete Formen, sodass die weitere Erziehung für einen geübten Obstliebhaber problemlos war. Man sprach zwar immer noch in der französischen Sprache von Espalier für Spalier, Évantail für die Fächerform, Cordon-Guirlande für den Schnurbaum, doch nach der Empfehlung des Deutschen Pomologenvereins (1871) setzten sich bald die deutschen Bezeichnungen durch.
Hochburgen des Formobstbaues existierten auch in Belgien, vor allem mit Birnensorten und im Elsass, wo die Bollwiler Baumschulen ein großes Angebot hatten. Dort sind auch heute noch kunstvolle Hausspaliere zu sehen.
In Putbus auf Rügen (westlich des alten Wasserwerkes) bestehen heute noch Reste eines alten Spaliergartens, den der damalige „fürstliche Treibgärtner“ 1895 ausführlich beschrieb. Demnach wurde die Anlage von dem französischen Spaliergärtner Lepère(1799-1882) geplant und enthielt 18 Apfel-, 30 Birnen-, 10 Pfirsich-, 2 Nektarinensorten und 1 Sauerkirsche. Insgesamt hatte Putbus im Obstbau einen hohen Stellenwert; hier entstand auch 1910 die Erdbeersorte ‘Rügen‘.

Herkunft der Obstarten für Spaliere
Der Apfel.
Kulturapfel und der heimische Wildapfel sind weniger verwandt als bisher angenommen wurde. Neuere Forschungen (Universität Oxford 1995) halten vielmehr die Art Malus sieversii für den Vorläufer unserer Kulturäpfel. Dieser hat sein natürliches Verbreitungsgebiet in einem sehr großen und breiten Gebirgszug des heutigen Kasachstans. Von dort aus breitete sich dann die Art mit verschiedenen Varietäten zur nördlichen Halbkugel aus und passte sich an die örtlichen Klimaverhältnisse an.
Um etwa 1.000 v.Chr. kam es in Griechenland zu einer Hochblüte der Obstkultur durch die vegetative Sortenvermehrung, also mit Edelreisern, die aber ihren eigentlichen Ursprung wohl in Persien hatte. Dort galten die Äpfel als Machtsymbol der Herrscher.
Neue Sorten wurden im Laufe der Jahrtausende zunächst nur durch Auslesen natürlich entstandener Zufallssämlinge gefunden. Darauf ist auch die Entstehung vieler Regionalsorten zurückzuführen.
Gezielte Züchtungen wurden erst möglich durch die bahnbrechenden Arbeiten von GREGOR J. MENDEL (1822-1884), dem Prior und Lehrer der Naturkunde in Brünn. Die von ihm entwickelten „Mendelschen Gesetze“ waren und sind die Grundlage der Vererbungslehre und der Ausgangspunkt für gezielte Kreuzungen.
Sorten aus fernen Ländern müssen sich bei uns veränderten Standort- und Klimabedingungen anpassen und sind deshalb besonders empfindlich für Schadeinflüsse. Sie leiden häufiger als die einheimischen unter Blüten- und Holzfrost. Meist finden sie bei uns auch kürzere Fruchtwachstumszeiten vor und reifen deshalb nicht optimal aus.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Birne Wandspalier
Birne Wandspalier

Die Birne. Pyrus communis, die Holzbirne.
Die Wild- oder Holzbirne ist Baum des Jahres 1998. Von ihr stammen alle unsere heutigen Birnen ab.Die Kultursorten sind nach den geltenden Nomenklaturregeln unter Pyrus domestica (domus = Haus) zusammenzufassen.Die Birnenkultur ist vermutlich noch älter als die der Äpfel; die Entwicklung der Sorten ging aber denselben Weg. Die ersten und bedeutenden Züchtungen nahmen ihren Anfang in Belgien und Frankreich. Der Pomologe und Landwirtschaftsminister LE LECTIER (eine noch heute kultivierte Birnensorte) stellte 1626 einen Namenskatalog auf, in dem 62 Birnensorten mit acht Reifegruppen enthalten waren.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Laubengang Birne
Laubengang Birne

China war und ist von jeher das an Birnen artenreichste Land. Aber auch in Griechenland waren die Birnen schon immer hoch geschätzt. Deshalb erhielt der Peloponnes den symbolischen Namen „Apia“, das Birnenland.
Die Befruchtungsverhältnisse sind denen des Apfels vergleichbar, allerdings beobachtet man bisweilen eine „Jungfernfrüchtigkeit“. Solche Früchte sind in der Regel aber minderwertig.
Birnensorten bedürfen noch mehr der Wärme und einen geschützten Standort auf gutem Gartenboden als Äpfel. Dort können sie bedeutend älter werden als Apfelbäume. Sorten aus fernen Ländern, aber auch sehr alte, früher robuste Züchtungen, haben in den langen Zeitspannen ihre Widerstandsfähigkeit zum Teil verloren und sollten bei Obstplanungen nicht mehr berücksichtigt werden. Birnen sind seit jeher geschätzt für alle Arten der Spaliererziehung, größtenteils auch als Form- und Topfobstbäume.
Nashi, die Asienbirne Pyrus pyrifolia var. culta.
Sie ist in den asiatischen Ländern beheimatet und dort schon seit altersher in Kultur. Bei uns ist sie erst seit wenigen Jahren mit einer Reihe von Sorten eingeführt. Die Ansprüche an Boden und Klima sind sehr hoch. Die Früchte sind sehr saftig, süß, jedoch ohne Aroma. Die Nashibirnen sind nur etwas für besondere Liebhaber, sonst wird aber vom Anbau im Garten abgeraten. Außerdem sind sie problematisch in der Erziehung zum Spalier.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Quitte
Quitte

Die Quitte, Cydonia oblonga.
Die Quittenkultur ist seit 4.000 Jahren in den wärmeren Teilen Europas und Nordafrikas nachweisbar.
Sie gilt bei uns, besonders im Wurzelbereich als frostempfindlich.
Schon Albertus Magnus (1193-1280) unterschied zwei Rassen, nämlich apfelfrüchtige und birnenfrüchtige. Damals wie heute wurden die Früchte sowohl als Obst, wie auch in der Volksheilkunde und im kosmetischen Bereich verwendet.

Spalieranbau mit Obstbäumen
Sauerkirsche

Die Sauerkirsche, Prunus cerasus.
Heimatgebiet der heutigen Sorten ist das westliche Asien und Südosteuropa, dort gibt es auch heute noch einen sehr bedeutenden Anbau. Die ersten Kulturorten sollen in Kleinasien entstanden und (nach Plinius) im Jahre 64 n.Chr. nach Italien gebracht worden sein. Im Jahr 1819 erschien das erste Kirschenbuch von Truchseß von Wetzenhausen zu Bettenburg mit 115 Sorten der Sauerkirschen und 116 Süßkirschen. Hauptanbaugebiet war bis in die jüngste Vergangenheit die Gegend um Halle. Man teilt die Sorten ein in:
Amarellen: Saurer Geschmack, dunkle Farbe, langer Stiel, nicht färbender Saft.
Weichselkirschen: Saurer Geschmack, dunkle Farbe, kurzer Stiel, färbender Saft.
Glaskirschen: Bastardkirschen mit nichtfärbendem Saft.
Süßweichselkirschen: Bastardkirschen mit färbendem Saft.
Sauerkirschen sind anspruchslos an den Standort und sehr frosthart. Probleme gibt es bei einigen, vor allem den alten Sorten (u.a. Schattenmorelle) mit Monilia (Triebspitzendürre) und Bakterienbrand. Der Vorzug moderner Sorten ist eine größere Widerstandskraft. Die meisten Sorten sind selbstfruchtbar. Sie sind problemlos als Fächerspaliere am Haus oder an der Mauer zu erziehen.
Die Pflaumen.
Die Kultursorten sind aus Kreuzungen mehrerer Wildarten entstanden, unter denen Prunus domestica überwiegt. Pflaumen sind ein Oberbegriff für Steinfrüchte, wie Zwetschgen, Rundpflaumen, Mirabellen, Renekloden. Eine botanisch genau definierte Unterscheidung gibt es nicht, genau wie bei Zibarte, Spilling, oder Schlehe. Die uralten Landsorten wurden sowohl durch Samen, als auch durch Wurzelschosse vermehrt. Damit lässt sich die große Vielfalt erklären. Schlehen und Kirschpflaume sind fähig, die Hauspflaumengruppe zu befruchten. Klimatische Ansprüche werden von der Herkunft bestimmt, denn auch hier gibt es Züchtungen aus wärmeren Ländern, etwa England, Serbien, Ungarn. Bei Pflaumen sind sowohl Mauerspaliere, als auch freistehende am Drahtgerüst möglich.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Spalier Pfirsich
Spalier Pfirsich

Der Pfirsich, Prunus persica.
Die Ursprungsheimat ist nicht etwa Persien, sondern das klimatisch günstigere China. Dort wird der Pfirsich seit 4.000 Jahren angebaut. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Wärme, auch im Boden. Zu schwere Böden werden durch Pflaumenunterlage etwas ausgeglichen. Die Vielfalt robuster Sorten früherer Jahre hat heute stark abgenommen. Glattschalige Pfirsiche, die Nektarinen, kommen bei uns für einen Anbau nicht, oder nur in wärmsten Gebieten in Frage. Aufgrund des besonderen Wuchscharakters ist beim Pfirsich weniger eine geometrische Erziehungsart, als die Fächerform empfehlenswert. Aus Jena – wo er sich im Pfirsichanbau unterweisen ließ – holte Goethe sich Pfirsiche und band die Bäumchen selbst fächerartig an.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Johannisbeeren
Johannisbeeren

Johannisbeeren, (Sammelname: Ribes rubrum für rote und weiße, Ribes nigrum für schwarze)
Die Urformen der roten Gartenjohannisbeere finden sich in den Auwäldern Westeuropas. Schwarze Sorten haben ihren Ursprung von Osteuropa bis Mittelsibirien und dem Kaukasus. Die verschiedenen Züchtungen aus Kreuzung von Schwarzer Johannisbeere x Stachelbeere (Jostabeere) sind Ergebnisse der Züchtungsarbeit von Dr. Bauer in der neueren Zeit.

Spalieranbau mit Obstbäumen: Hecke Jostabeeren
Hecke Jostabeeren

Die Volksmedizin kennt zahlreiche Anwendungen für Früchte und Blätter, besonders bei den schwarzen Sorten. Diese haben auch den höchsten Gehalt an Vitamin C (bis 350 mg/100 g Fruchtgewicht) aller Gartenfrüchte.
Johannisbeeren lassen sich am Beispiel des Erwerbsanbaues entweder eintriebig oder als Dreiasthecke am Drahtrahmen erziehen.

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